Berliner Erklärung
"Vor 30 Jahren gründeten die Architektenkammern der Länder die Bundesarchitektenkammer als ihre berufspolitische Vertretung. Sie vertritt die Interessen von über 100.000 Architektinnen und Architekten gegenüber dem Bundestag, der Bundesregierung, bei den europäischen Institutionen und gegenüber der Öffentlichkeit. Sie setzt sich für den Schutz der Verbraucher ein, und sie engagiert sich für die Baukultur in Deutschland. Zehn Jahre nach der Wende hat die Bundesarchitektenkammer mit dem Umzug von Parlament und Regierung in die Hauptstadt ebenfalls ihren Sitz von Bonn nach Berlin verlegt. Aus diesem Anlass beschloß die Bundeskammerversammlung, das Parlament der deutschen Architekten, am 28. Oktober 1999 die
Berliner Erklärung
Wir bekräftigen unsere Verantwortung gegenüber der Gesellschaft für die bauliche Gestalt unseres Gemeinwesens. Die Bauten früherer Generationen sind sichtbare Zeugnisse unserer Geschichte und prägen unsere Städte und Dörfer, so wie die Bauten unserer Zeit später von uns Zeugnis geben werden. Architektur ist ein Spiegel unserer Gesellschaft.
Weil Europa zusammenwächst, gewinnt die Bewahrung der regionalen Identität auch in der Architektur an Bedeutung. Die Gestaltung unserer Umwelt ist eine wichtige Aufgabe. Wir werden auch in Zukunft unseren Beitrag für menschenwürdige, gut gestaltete, wirtschaftliche Bauten und für schöne und lebenswerte Städte leisten.
Der stürmische Wandel unserer Gesellschaft mit tiefgreifenden sozialen, kulturellen, ökonomischen, technischen und ökologischen Veränderungen ist für die deutsche Architektenschaft eine grosse Herausforderung. Beim Planen und Bauen müssen neue Lebens- und Arbeitsformen bedacht werden. Neue Technologien bestimmen das Bauen, die ökologische Nachhaltigkeit gewinnt an Bedeutung, unsere Bauherren erwarten verbesserte Termin- und Kostenkontrolle.
Die Planung von Städten und Gebäuden ist komplizierter als früher. Weil Architektur kein kurzlebiges Konsumgut ist, das man nach Gebrauch wegwerfen kann, muss sorgfältig geplant werden. Das ist die Aufgabe von uns Architekten, von Stadtplanern, von Landschaftsarchitekten und von Innenarchitekten. Die Menschen brauchen gut ausgebildete, qualifizierte Ärzte und Rechtsanwälte, wenn es um ihre Gesundheit oder um ihr Recht geht, und sie brauchen gut ausgebildete, qualifizierte Architektinnen und Architekten, wenn es um die gebaute Lebensqualität, wenn es um die Architektur und den Städtebau geht.
Architekten sind die Treuhänder des Bauherren. Sie wollen unabhängig, umfassend und kompetent beraten. Deshalb müssen Planen und Bauen getrennt bleiben. Wird die Planung zusammen mit der Bauausführung vergeben, dann bestimmen die wirtschaftlichen Interessen des ausführenden Unternehmens, nicht die des Bauherren die Planung. Es drohen Qualitätsverluste, die den Bauherren teuer zu stehen kommen.
Die deutsche Architektenschaft bejaht den Leistungswettbewerb: Es sollen sich die Architektinnen und Architekten durchsetzen, die besonders gute, gestalterisch und technisch überzeugende, wirtschaftlich und ökologisch vernünftige Gebäude planen. Der Preiswettbewerb - das heisst die Vergabe von Planungsleistungen allein nach ihrem Preis -ist verfehlt, denn billigere Plaung heisst in aller Regel weniger und schlechtere Planung. Wer am Planen spart, zahlt beim Bauen drauf. Eine faire Honorarordnung, die den Interessen der Bauherren und der Architekten an einer sorgfälitgen Planung und Bauüberwachung gleichermassen gerecht wird, liegt im Interesse der Verbraucher und schützt sie.
Der Architektenwettbewerb ist der beste Weg, für eine Bauaufgabe eine gestalterisch und wirtschaftlich optimale Lösung zu finden. Der Bauherr bekommt über den Wettbewerb eine Fülle von unterschiedlichen Lösungen, aus denen er auswählen kann. Der Architektenwettbewerb als Optimierungsverfahren lohnt sich allein schon durch rationellere und preiswertere Vorschläge. Deshalb fordern wir nicht nur die öffentliche Hand - den Bauherrn Demokratie -, sondern auch die Bauherren aus der Wirtschaft, aus Industrie und Gewerbe auf, für ihre Bauaufgaben Architektenwettbewerbe zu veranstalten. Die Architektenkammern der Länder helfen dabei allen Bauherren mit Rat und Tat.
In einer komplizierteren Welt braucht die Gesellschaft mehr und bessere Gesetze und Regeln für unser Zusammenleben als in früheren Zeiten. Das gilt auch für das Bauen. Die Zahl der Gesetze, Verordnungen und Richtlinien - auch durch die Europäische Union - hat jedoch erheblich zugenommen und das Bauen erschwert und verteuert. Wir fordern den Deutschen Bundestag und die Bundesregierung auf, gemeinsam mit der deutschen Architektenschaft die Gesetze, Verordnungen, Richtlinien und Normen für das Planen und Bauen zusammen zu stellen und auf ihre Notwendigkeit zu prüfen. Dabei wird sich zeigen, dass vieles mehrfach und widersprüchlich geregelt ist, dass manches überholt und verzichtbar ist, und dass die Vereinheitlichung von Länderregelungen unerlässlich ist. Wir wollen unseren Teil dazu beitragen, die Gesetze sinnvoller, überschaubarer und praktikabler zu machen.
- Für die Planungs- und Baukultur sind private und öffentliche Bauherren gleichermassen verantwortlich. Wir fordern den Bauherrn Demokratie, wir fordern die Parlamente im Bund, in den Ländern, Kreisen, ebenso wie die Regierungen und Verwaltungen auf, ihre Verantwortung für die Baukultur in unserem Land erst zu nehmen. Bauwerke sind Kulturgüter unseres Landes. Die Bauherrenrolle der öffentlichen Hand ist auch in Zeiten des Sparens unverzichtbar. Dafür sind leistungsstarke Bauverwaltungen notwendig. Der Bauherr Demokratie darf seine Verantwortung nicht auf anonyme Institutionen und Investoren abwälzen. Kostenverlagerung ist keine Sparsamkeit. Heutige Finanzierungsprobleme dürfen nicht durch Investoren- und Leasingmodelle den nachfolgenden Generationen aufgebürdet werden. Die Vergabe von Planungen und Bauaufträgen an Investoren, an Generalüber- und unternehmer benachteiligt alle Architekten, Ingenieure, mittelständische und kleine Bauunternehmer und Handwerker. Was die öffentliche Hand als Bauherr möglicherweise spart, verliert sie an anderer Stelle bei den Steuereinnahmen.
Die Bundesarchitektenkammer fordert alle Architektinnen und Architekten in unserem Land auf, sich an der öffentlichen Diskussion über die Zukunft unserer Städte und Dörfer aktiv zu beteiligen und in den Verbänden, Kammern, Vereinen, Kirchen, Gewerkschaften und Parteien mitzuarbeiten. Zunehmend diktieren wirtschaftliche Interessen die Stadtplanung und das Bauen. In einer Zeit, in der vieles käuflich zu werden droht, ist das berufsständische Ethos der Architekten ein Schutzwall gegen die Ausdehnung des Marktprinzips auf alle Lebensbereiche. Es ist unsere Aufgabe, überall Bündnispartner für eine menschen- und umweltfreundliche Planung, für gute Architektur, für die Baukultur zu gewinnen."
(Bundesarchitektenkammer e.V. Bundesgemeinschaft der Architektenkammern, Körperschaften des öffentlichen Rechts)